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Wut

Als Buchhändler verstehe ich mich als durchaus mit dem Schafhirten verwandt. Man tut sein Möglichstes um seine Schutzbefohlenen zusammenzuhalten, streichelt ihnen bei Gelegenheit sanft über das Fell, ab und an riecht man sogar ein wenig streng (glaubt es oder nicht, dies ist ein oft nicht wenig sportlicher Beruf). Da wir ständig an unserem Sortiment arbeiten, ist es so etwas wie unser Heiligtum. Wenn ein Buch für gut befunden ist und es sich schließlich auf die Wanderung in unser Regal machen darf, dann sollte es auch in allen Herrschaftszeiten nicht fehlen. Dies wird mit einer Kombination aus Herumwerfen diverser Argusaugen, elektronischer Unterstützung und – unverzichtbar – Gedächtnisleistung vollstreckt. Oh, und mit Hirtenhunden, ich vergaß die Hirtenhunde.

Nun, manche wollen einem jedoch alles vergällen und hinterlassen eine Lücke dort, wo einst ein Buch prangte. Dem Buchhändler, diesen Vorgang manchmal nicht verfolgend, wird nach und nach recht beklommen zu Mute, er spürt, seine Peripherie ist verstimmt. Der Verdacht, die Vergewisserung, das Kriminal: Gestohlen!

Neben dem Verlust des Buches (oft im Plural) bedeutet dies auch hinterhältige Sabotage unseres Sortiments, massenhaft Aufklärungsarbeit und nicht zuletzt eine erhebliche Gefahr für die Ausgeglichenheit meines Blutdrucks. Ich nehme eine solche Tat übrigens als persönlichen Affront, leider ist fragliche(r) DelinquentIn aber manchmal schon zu weit weg für meinen Fehdehandschuh.

Aber sie können sich sicher sein, ich werde nicht ruhen, bis zu ihrer Ergreifung. Ich, meine Kontakte zur Unterwelt, zur Staatsmacht, zu den Hunden aus meinem Rudel, zu Leuten aus dem Literaturbetrieb, die rein gar nichts zu verlieren haben, und zu Leuten, die The Wire mehr als einmal gesehen haben.

Und falls mir jemand durch irgendwelche Unglücklichkeiten entwischen sollte, dann bin ich mir sicher, dass der Teufel einen besonderen Platz in seinem eigentümlich eingerichtetem Heim für sie bereit hält. Vielleicht einen äußerst ungemütlichen Lesesessel, der streng nach jemandem anderen riecht, dessen Federung an den falschen Stellen drückt, einer der unangenehm wackelt, fleckig-klebrig ist, gemustert wie der Geschmack ungesalzener Pappkartons.

Darauf sitzend muss ein endloses, schlecht geklebtes Buch im flackernden Halbdunkel gelesen werden, das immer die eine selbe Seite beinhaltet, höchst ungeschlacht formuliert, ein hässlicher Klotz, der gegen Ende der Seite eine Prise Spannung, ja ein Fünklein Hoffnung auf eine Fortsetzung enthält, nur um sich mit dem Umblättern wieder in den gähnenden Kreis der Langatmigkeit einzugliedern. Verteilt sind zudem Schreib- und Druckfehler, gerade so viele, dass ein jeder wie ein Lanzenstich wirkt. Halbwahrheiten, neunmalkluge Schwadronierereien, aggressive Schwammigkeiten und dergleichen Entmutigendes sind hingegen in ärgerlicher Großzügigkeit hineingepfercht. Und die Wahl der Schriftart, oje, die Schriftart ... doch ich muss mich zurücknehmen, ehe ich mich in blinder Wut verliere. Denn sehend' Wut soll es sein, für die Jagd, für die Obacht...