Logo Buchhandlung Haymon

Neid

Der Buchhändler existiert, so legen verschiedene und seltene Sichtungen nahe, auch außerhalb seines angestammten Territoriums. Wie immer blass, einen Hauch verstört ob der ungewohnten Umgebung und noch immer in kariertem Tarnfederkleid sucht er dann meist sein Nest auf. So sagt man sich. Ich sage schlicht, ich gehe nach Hause.
Nach der Erledigung von allerlei Dingen, die zur Selbstinstandhaltung unerlässlich, dem Gerade- oder Schiefrücken der Gemälde im Museumstrakt oder dem (nach)lässigen Abstauben des Alliberts in der Nasszelle, ist es mir dann auch wieder erlaubt, mich meinen Büchern zu widmen. Davon besitze ich ungelogen einige, in jeglicher Größe, in wenigen Sprachen, vom billigsten Raubdruck bis zur antiquarischen Kostbarkeit. Die allermeisten davon habe ich gelesen, da mich zum einen mehr als etwa 20 ungelesene Bücher im Regal zu sehr belasten, zum anderen habe ja ich einen Schlüssel zur nahen Buchhandlung. Ein Engpass ist also ganz und gar unmöglich, trotz dem seltenen, purem Privileg entspringenden Gefühl nichts zu lesen zu haben.
Leider ist es auch so, dass ich noch immer nicht alles je Publizierte gelesen habe. Zur Erinnerung werden daher nicht zu vergessende Bücher bis zur Lesung auf einer in ihrer Länge exponentiell ausufernden mentalen und/oder physischen Liste vermerkt.
In der Buchhandlung dann passiert damit zusammenhängendes Ungeheuerliches – man lasse sich folgendes in die Vorstellungsknospen gleiten: Oft kommt jemand mir nichts dir nichts herein und nimmt sich ausgerechnet ein Buch mit, dass auf eben jener Liste steht, eines, das ich (die Liste beweist es) nur allzu gerne selbst lesen würde, doch nicht kann, da ich doch ein andres wartet. Buchhändlerprobleme.
Ich geb es zu, oft erfasst mich der Neid. Jedoch ists nicht die Art von Neid, die mich zu fiesen Fisimatenten oder gar Handgreiflichkeiten treibt, besser beschrieben (doch nicht leichter verdaulich) ist das Gefühl wohl mit sanftem Beneiden. Ich stelle mir dann vor, wie die neu bebuchte Person sich etwa sogleich mußevoll unter einen Baum flätzt, während des Lesens in maßvollen Abständen gedankenvoll den Blick in die Landschaft klebt, so die Buchstäblichkeit der gerade gelesenen Seiten langsam in die abstrakte Wirklichkeit sickern lässt, um dann die zu feinem Nebel zerstäubten Kontraste, Konvergenzen, Essenzen dieser Welten in nun wirklich bedeutenden Atemzügen zu inhalieren.
Und ich Elender? Nicht einmal ein Zaungast darf ich sein, bin Sklave meiner Ungeduld, einsam verlorener Kämpfer gegen meine Lesewut. Ein unlösbares Problem, das kein Schwert zu lösen vermag. Nur wenn ich alles gelesen hätte, dann .... was mach ich dann?